Montag, 22. November 2004
Wenn die PHOTOGRAPHIE sich nicht ergründen läßt, dann deshalb, weil ihre Evidenz so mächtig ist. Im Bild gibt sich der Gegenstand als ganzer zu erkennen, und sein Anblick ist gewiß - im Gegensatz zum Text oder zu anderen Wahrnehmungsformen, die mir das Objekt in undeutlicher, anfechtbarer Weise darbieten und mich dadurch auffordern, dem zu mißtrauen, was ich zu sehen glaube. Diese Gewißheit ist unanfechtbar, weil es mir freisteht, die Photographie so eingehend zu betrachten, wie es mir beliebt; doch wie lange ich das Bild auch betrachten mag, es teilt mir nichts mit. Genau in dieser Interpretationssperre liegt die Gewißheit des PHOTOS: auch wenn ich mich noch so mühe, alles, was ich feststellen kann, ist, daß es so gewesen ist; für jeden, der ein Photo in Händen hält, liegt darin ein "fundamentaler Glaube", eine "URDOXA", die nichts zerstören kann, es sei denn, man beweist mir, daß dieses Bild keine Photographie ist.
Roland Barthes in: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photgraphie.

Mithin auch deshalb faszinierend: 10x10.


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